Lust trotz Handicap

Gepostet von Brigitte Schuster, 29.01.2019 14:57:00

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Für unsere Gesellschaft ist es ein Tabu, doch für viele Frauen mit Behinderung ist es ein wichtiges und zugleich ganz alltägliches Thema: Sex. Denn genau wie ganz normale Frauen, haben auch Frauen mit Behinderungen Gefühle und Bedürfnisse.

 

Lust-trotz-Handicap

Sex nach Lust und Laune war auch für diese Frauen häufig die Normalität. Bis ein Unfall oder eine Erkrankung sie aus dem Sexalltag herausgerissen hat. Denn sowohl für Querschnittgelähmte wie auch für MS-Patientinnen beginnt durch das Handicap ein neues Leben, eine neue Körperwahrnehmung und damit auch eine neue, oftmals fremde Sexualität. Hinzu kommt für viele Betroffene, dass sie sich im Zuge dieser körperlich wie auch seelisch schmerzhaften Erfahrung allein gelassen fühlen. Spezielle Beratungsstellen gibt es nicht. Für eine Fragestunde zu diesem sehr intimen Thema beim behandelnden Arzt fehlt der Mut. Nun stehen sie mit sich und ihrem Körper vor vielen neuen Herausforderungen. Eine davon ist die sexuelle Beziehung zum Partner.

Wenn man vor hat, eine intime Beziehung mit einem Partner einzugehen, sollte man am Anfang einige Dinge beachten. Deshalb ist es wichtig mit dem Partner offen zu reden und ihn auf alle Eventualitäten vorzubereiten. Auch über das Thema Verhütung sollten sich stets beide Partner Gedanken machen. Positiver Nebeneffekt: Wenn diese fundamentalen Dinge mit dem Partner geklärt wurden, können Frauen sich besser entspannen und dadurch die Nähe des Anderen genießen. Für die Frau gehört das Einmalkathetern genauso zur Vorbereitung eines aufregenden Abends wie das Darmmanagement und die Hygiene. Ein Handtuch oder Moltex als Unterlage, sollte doch etwas Stuhl oder Urin daneben gehen, können zusätzlich dazu beitragen, die innere Anspannung zu verhindern.

Was die Verhütung angeht, gibt es verschiedene Möglichkeiten: Der Markt der Hormone ist vielfältig, wie zum Beispiel die Pille, die Spirale, verschiedene Hormonpflaster, einen Vaginalring oder Hormonstäbchen. Nur leider sind diese Hormone für diese Patientenbilder nicht empfehlenswert, da Nebenerkrankungen auftreten können, wie eine erhöhte Thrombosegefahr, Entzündungen, Fieber und Schmerzen, dieses vor allem bei der Spirale und dem Vaginalring. Am besten geeignet und am ungefährlichsten ist nach wie vor das Kondom und diese gibt es ja schon latexfrei.

Da sowohl bei einer Querschnittlähmung als auch bei MS oftmals die Scheide sehr trocken ist wird oft eine östrogenhaltige Salbe verschrieben. Die Frauen sind meist sehr skeptisch auf Grund der Östrogene, aber diese Östrogene bleiben nur auf der Scheidenschleimhaut und treten nicht in den Körper ein. Im Gegenteil, diese Östrogenbehandlung tut nicht nur der Scheidenschleimhaut gut, sondern auch der Blasenschleimhaut, die ja oftmals durch das Kathetern ein wenig gereizt ist. Es gibt aber auch gegen die Scheidentrockenheit Zäpfchen ohne Hormone.

Doch sind die oben genannten Empfehlungen noch die kleinsten Probleme welche die Frauen belasten. Denn gerade nach einer Querschnittlähmung infolge einer Rückenmarksverletzung sind sexuelle Funktionen der Geschlechtsorgane schwer beeinträchtigt, allerdings ist das Fehlen der physiologischen Sexualfunktion nicht mit dem Fehlen des sexuellen Verlangens gleichzusetzen. Viele Querschnittgelähmte und ihre Partner sind heute immer noch der Meinung, dass sie wegen der Behinderung auf Sexualität verzichten müssen, aber das ist nicht nötig. Es gibt zwar bei beiden Krankheitsbildern psychische Störungsbilder, wie eine gestörte Beziehung zum Körper, Versagensängste, Minderwertigkeitsgefühle und Sexualfunktionsstörungen bei denen vor allem die Multiple Sklerose Patientinnen der Meinung sind, dass sexuelle Aktivitäten einen Schub auslösen könnten, aber auch das ist falsch.

Auch sind organische Störungsbilder wie Harn- und Stuhlinkontinenz, verminderte Fruchtbarkeit, Störung der Tiefen- und Oberflächensensibilität der Haut und Genitalorgane, Koordinationsstörungen von Bewegungsabläufen und oftmals sogar massive Spastiken Probleme vor denen die Patientinnen große Angst haben. Aber gerade durch diese Ängste entsteht bei einem sexuellen Akt zum Beispiel eine Spastik und das sollte mit dem Partner vorher besprochen werden. Durch einige oft kleine Maßnahmen, wie eine angenehme Raumtemperatur und Massagen an den Adduktoren der Beine, Rückenmuskulatur und Bauchmuskulatur, die von einem Physiotherapeuten erlernt werden können, entsteht eine entspannte Atmosphäre.

Bei querschnittgelähmten Frauen mit vermeintlich fehlender Sensibilität im Genitalbereich empfiehlt es sich erst einmal zu erforschen, ob nicht doch ein wenig Restsensibilität vorhanden ist, denn viele spüren weit mehr als sie gedacht haben. Für solche Selbsttests eignen sich Vibratoren, Dildo und Vaginalkugeln. Da die Materialien vielseitig sind, ist auch für Patientinnen, die Allergien haben bestimmt etwas dabei. Aber man sollte darauf achten dass der Vibrator oder Dildo die richtige Größe haben damit die Frau beim Einführen keine Spastik bekommt. Beim Einführen von Vibrator, Dildo oder den Vaginalkugeln sollte reichlich Gleitcreme benutzt werden, um Einrisse zu vermeiden, da oftmals die Scheidenschleimhaut sehr trocken ist und Verletzungen schlecht heilen.

Vaginalkugeln sind meist aus Kunststoff und haben ein so genanntes Rückholband. Im Inneren dieser Kugeln befinden sich ebenfalls kleine Kugeln, welche bei Bewegungen des Körpers vibrieren. Die Kugeln dienen zum einen zur Stimulation und zum anderen kann man damit den Beckenboden aktivieren. Viele Frauen werden jetzt denken „so etwas mache ich nicht, dass ist unanständig“ aber nur so können die Frauen im Genitalbereich ihre Sensibilität wahrnehmen und dem Partner sagen wo sie Gefühle empfinden. Wenn der Partner nicht weiß, wie er sie stimulieren soll, wo sie was spüren oder nicht, dann könnte sogar die Partnerschaft gefährdet sein.

Damit beide Partner mit der ganzen Situation vielleicht besser fertig werden, gibt es die so genannten Sexualbegleiter, auch Berührer genannt. Diese Damen oder Herren zeigen dem Paar sich einen Erlebnisraum zu schaffen, wo die Wünsche des Gegenübers Platz haben. Die Sexualbegleiter hatten hier in Deutschland am Anfang gleich den Ruf der Prostitution , aber diese Damen und Herren geben ihnen Tipps im Umgang miteinander und besorgen ihnen eventuell Hilfsmittel, aber sie gehen keinerlei Geschlechtsverkehr ein. Dieses Angebot hat einen Nachteil, so eine Stunde kostet zwischen 60 € bis 100 € und das kann sich nicht jeder leisten, aber diese Einrichtung hat schon vielen Paaren geholfen ein entspanntes, wunderschönes, neues Sexualleben zu erleben.

Lesen Sie zu diesem Thema auch das Interview mit der Sexualtherapeutin Dorthe Forsell zum Thema "Sexualität nach einer Verletzung oder Krankheit"

Hier geht es zum Interview mit Dorthe Forsell

Themen: Transanale Irrigation (TAI), Blasenentleerung, Tipps