Erforschung der Auswirkungen von verzögertem Toilettentraining mit dem ESPUN-Studienstipendium von Wellspect

Gepostet von Wellspect HealthCare, 19.11.2021 07:45:00

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Wellspect unterstützt die evidenzbasierte Forschung und Praxis im Bereich der Kontinenzversorgung und fördert das jährliche ESPUN-Studienstipendium. Tinne Van Aggelpoel ist die aktuelle Gewinnerin, und zum World Toilet Day präsentieren wir die Ergebnisse ihrer Studie im Bereich Blasen- und Darmmanagement bei Kindern.

Toilet Infografik zum World Toilet Day_Ein Trend für das Toilettentraining und das volle Blasenmanagement wird im späteren Alter gesehenPost Infographic-01

Tinne Van Aggelpoel ist Beckenboden-Physiotherapeutin am Universitätskrankenhaus Antwerpen, UZA, Belgien (Universitair Ziekenhuis Antwerpen) unter der Leitung von Prof. Dr. Alexandra Vermandel und die jüngste Gewinnerin des ESPUN-Studienstipendiums. Tinnes Forschungsgebiet ist die Erforschung des Toilettentrainings bei gesunden Kindern und den Auswirkungen eines verzögerten Trainings für Kinder, die länger als nötig Windeln tragen. Tinne stellte kürzlich ihre Doktorarbeit zu diesem Thema, mit dem Fokus auf der Untersuchung möglicher Einflussfaktoren und der Implementierung neuer Toilettentrainingsmethoden, vor.

Das Toilettentraining (TT) ist einer der ersten Entwicklungsmeilensteine im Leben eines Kindes und eine wichtige Phase beim Erlangen der Selbständigkeit. Es ist ein unvermeidlicher Schritt, um den Standards der Gesellschaft und Kultur, in der sie aufwachsen, gerecht zu werden. Die Fähigkeit, die Toilette oder das Töpfchen selbstständig zu benutzen, erfordert, dass das Kind einen schrittweisen, aber komplexen Reifungsprozess durchläuft, indem es lernt, das Gefühl des Harn- oder Stuhldrangs zu erkennen und auszudrücken.

Empfohlene TT-Methoden verwenden eine Vielzahl von Moderationstechniken, von denen mehrere nachweislich den TT-Prozess erleichtern, wie zum Beispiel:

  • Erhöhung der Flüssigkeitsaufnahme
  • Zeit für das Training einteilen
  • eine Puppe als Hilfsmittel benutzen oder die Eltern nachahmen
  • keine Bestrafung
  • Lob und Belohnung
  • auf Drangsignale achten
  • Training ohne Windel
  • Normale Unterwäsche tragen

Die Richtlinien der American Academy of Pediatrics (AAP) empfehlen, dass das Toilettentraining die Form eines positiven, nicht bedrohlichen und natürlichen Unterfangens hat.

Es ist ein Trend, zu einem späteren Zeitpunkt mit der Erziehung zur Kontinenz zu beginnen, zu beobachten und damit einhergehend ein höheres Alter des Kindes, in welchem die volle Blasenkontrolle erlangt wird. Das durchschnittliche Alter lag früher bei 18 Monaten; dies hat sich nun auf 21-36 Monate verschoben. In den fünfziger Jahren erreichten die meisten Kinder die kontrollierte Blasenentleerung auf der Toilette im Alter von 36 Monaten, aber in den letzten Jahrzehnten werden nur 40 bis 60% der Kinder in diesem Alter zur Toilettennutzung erzogen.

Dies wirft die Frage auf: Was ist der Grund für diese Verzögerung?

Es ist sehr unwahrscheinlich, dass sich die Eigenschaften von Kindern in den letzten 50 Jahren verändert haben. Eine Reihe vorherrschender soziokultureller Normen, z.B. Konventionen, Bildung, Wohnort und pflegerische Umweltfaktoren wie Verfügbarkeit und Kosten von Windeln, Wetter und Zugang zu Wasser könnten einen Einfluss auf die deutliche Verschiebung der Kontinenzerlangung haben.

Einwegwindeln sind einfach zu handhaben und so nutzen Eltern die Möglichkeiten der Wegwerfwindeln das Toilettentraining im höheren Alter zu initiieren. Durch die Verschiebung des Trainings und der längeren Verwendung von hyperabsorbierenden Wegwerfwindeln nehmen den Kindern die unangenehme Wahrnehmung einer nassen Windel und den damit verbundenen Wunsch nach Trockenheit.

In vielen Familien sind beide Elternteile berufstätig und die Inanspruchnahme von Kindertagesstätten nimmt zu:

  • Bis zu 63 % aller Kleinkinder in Belgien besuchen eine Kindertagesstätte, wobei Kindertagesstätten jetzt eine wachsende Rolle im TT-Prozess spielen.
  • 40% der Eltern haben keine Ahnung, ob ihr Trainingsstil der Richtige ist.
  • 30 % der Eltern sind sich hinsichtlich des richtigen Timings und der richtigen Methode des TT unsicher, und verwirrende oder irreführende Informationen erschweren die Einleitung des TT nur.

Eine Verzögerung des TT hat mehrere nachteilige Folgen, sowohl für das Kind als auch für seine Umgebung.

Je später ein Kind lernt auf die Toilette zu gehen, desto länger braucht es Wegwerfwindeln, was finanzielle und ökologische Nachteile mit sich bringt; es könnte sich sowohl auf das Individuum als auch auf die Familie psychosozial auswirken. Darüber hinaus könnte es zu  Problemen wie Mobbing und Kindesmissbrauch kommen; außerdem es gibt immer mehr Kinder, die im Kindergarten noch zur Kontinenz erzogen werden müssen.

Die Literatur berichtet auch über mehrere medizinische Konsequenzen für das Kind, wenn das TT auf einen späteren Zeitpunt verschoben wird, wie eine Zunahme der Prävalenz von Enuresis und Infektionen der unteren Harnwege (LUTS) bei älternen Kindern oder Stuhlprobleme wie Verstopfung während des TT.

Ein früherer Beginn des TT ändert nichts an der Trainingsdauer. Blüm et al. fand heraus, dass ein sehr früher Beginn, vor dem Alter von 18 Monaten, zu einer längeren Trainingsdauer führen kann, obwohl das Kind den TT-Prozess umso früher abschließt, je früher das TT begonnen wird, auch in Familien, die vor 18 Monaten mit dem Training begonnen haben.

Ein frühes TT für Urin scheint mit dem frühen Erreichen von Tages- und Nachtkontinenz verbunden zu sein, und es scheint keine Assoziation mit Blasenfunktionsstörungen zu geben, daraus schlussfolgernd, dass es keine Kontraindikationen für ein TT bei Kindern unter 2 Jahren gab. Es gibt keinen Zusammenhang zwischen frühem Beginn der Kontinenzerziehung und Blasenfunktionsstörungen oder Stuhlproblemen.

Die Hauptziele von Tinnes Forschung bestanden darin, einige der Faktoren anzugehen, die zur Verschiebung des TT beitragen. In einer ersten Studie wurden 832 Eltern mit Hilfe eines Fragebogens zu ihren Ansichten zum TT befragt. Die Hälfte (50 %) der Eltern begann mit dem TT, weil das Kind bald die Schule besuchen würde und die Eltern scheinen sich auf externe Faktoren zu verlassen, um mit dem Training zu beginnen, anstatt die Reife oder Bereitschaft des Kindes zu berücksichtigen, obwohl die letztere Gruppe das Toilettentraining  deutlich früher beendete.

Die richtige Anleitung finden

Informationen zum Toilettentraining (Methode, Beginn usw.) sind weit verbreitet und manchmal falsch oder sogar widersprüchlich. Jede Schule, Kita oder Institution hat ihr eigenes Paket, Broschüre, Poster oder Buch entwickelt. Für Eltern ist es nicht einfach, die richtigen und relevanten Informationen herauszufiltern, daher werden manche verunsichert und verschieben das Toilettentraining. Sechs Fokusgruppendiskussionen (FGD) mit 37 Teilnehmern wurden gegründet, um die Erfahrungen der Eltern mit dem TT zu erkunden und wie sie informiert werden möchten. Die Ergebnisse dieser qualitativen Studie zeigen, dass seriöse Agenturen, Familie, Freunde, Erzieherinnen und Tagesmütter als vertrauenswürdige Quellen gelten. TT-Informationen sollten leicht verständlich sein und keine wissenschaftlichen Begriffe enthalten. Eine bunte, illustrierte Broschüre per Post scheint die bevorzugte Informationsquelle zu sein.

Darüber hinaus untersuchte diese Forschungsarbeit das Auftreten einer postprandialen Defäkation (Stuhlentleerung nach der Nahrungsaufnahme) bei 40 gesunden Säuglingen, die noch nicht auf die Toilette trainiert waren. Es wurde bei 75% der Kinder ein Stuhlgang innerhalb der ersten Stunde nach einer Mahlzeit beobachtet. Von ihnen haben 37% innerhalb von 15 Minuten und 72% innerhalb einer halben Stunde entleert. 59% aller Kinder entleerten morgens, 54% mittags und 28% abends, das heißt einige Kinder entleerten mehrmals täglich den Darm.

Tinne glaubt, dass die Umsetzung dieses sogenannten gastrokolischen Reflexes beim TT, wie geplant mit einer Toilettensitzung 15-30 Minuten nach einer Mahlzeit, einem Kind bei seinem Lernprozess helfen könnte, auf dem Töpfchen zu entleeren.

Schließlich befasste sich die Studie mit dem Problem der wachsenden Zahl von Kindern in Kindertagesstätten, die noch lernen müssen auf die Toilette zu gehen, und Eltern, die sich hinsichtlich des richtigen Timings und der richtigen Art und Weise unsicher sind oder denen die Initiative und Zeit fehlt, um mit dem TT zu beginnen. In einem kontrollierten Test wurden insgesamt 55 Kinder (16 Jungen und 39 Mädchen) trainiert:

  • 27 Kinder in 11 verschiedenen Kitas in der Interventionsgruppe und 
  • 28 Kinder in 11 weiteren Kitas in der Kontrollgruppe

Innovative Aspekte dieser Toilettentrainingsmethode waren ein 2-stündiges Intensivtraining an zwei aufeinanderfolgenden Tagen, das in Kleingruppen in Kitas durchgeführt wurde. Die Intervention hatte einen signifikanten Einfluss auf die Dauer des Toilettentrainings bei gesunden Kindern mit einer medianen Dauer von 2 Wochen im Vergleich zu 5 Wochen in den Kontrollgruppen.

Tinne und ihre Mitarbeiter kamen zu dem Schluss, dass die Aufklärung von Eltern und Kita-Mitarbeitern über die Einschätzung der Bereitschaft eines Kindes, ein TT zu beginnen, und evidenzbasierte Leitlinien für die Durchführung eines TT die ersten Schritte sein könnten, um der Verschiebung des TT bei gesunden Kindern entgegen zu wirken.

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Themen: European Society for Paediatric Urology (ESPU), Blasenmanagement, WorldToiletDay, Studienstipendium