Die Kinderärztin Theresa Harbauer kann regelrecht ins Schwärmen geraten, wenn Sie von dem Ort des Handelns ihres Hilfsprojekts Haydom Friends erzählt: "Wenn man auf dem Krankenhausgelände steht und die Augen schließt, hat man diesen Geruch von verbranntem Holz in der Nase, weil immer irgendwo ein Feuer an ist. Morgens, wenn man die Tür aufmacht, hört man die Hähne krähen und kann einen wunderschönen Sonnenaufgang sehen.“
Der Ort, um den es ihr ganz besonders geht, ist das Haydom Lutheran Hospital im bergigen Nordwesten Tansanias, ein in den 1960ern von norwegischen Missionaren gegründetes Krankenhaus, dessen Einzugsbereich sich über viele kleine Dörfer in der armen, ländlichen Region des ostafrikanischen Landes zieht.
„Auf eine gewisse Art und Weise ist es so friedlich, wenn man da so steht, auf der anderen Seite hat man natürlich das Krankenhaus im Rücken und weiß, was sich da so tagtäglich abspielen kann - auch an Schicksalsschlägen“, fährt die 40-Jährige fort, die hauptberuflich die pädiatrische Abteilung des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf leitet.
2009, noch während ihres Studiums, war sie zum ersten Mal in Haydom, von 2011 bis 2013 zog sie ganz dorthin, um Kindern und deren Familien zu helfen, die dort mit Spina Bifida zur Welt kommen. Was klein anfing hat sich mittlerweile zu einem umfassenden Hilfsprojekt entwickelt, dass sich um 80 Kinder mit Spina Bifida und deren Familien kümmert.
Dieser Geburtsdefekt ist in Entwicklungsländern wie Tansania sehr häufig, was nicht heißt, dass es ihn bei uns nicht gibt.
„Die größte Ursache ist ein Vitaminmangel in der Schwangerschaft, insbesondere was Folsäure anbetrifft, auch allgemeine Unterernährung spielt eine Rolle,” erklärt Harbauer und berichtet von ihrer damaligen Zeit in Haydom: „In der Klinik hat man sehr viele Kinder mit Spina Bifida gesehen. Aufgrund von Fachkräftemangel konnte man den Kindern fachlich nicht gerecht werden.“
Bei Spina Bifida, umgangssprachlich auch „Offener Rücken“ genannt, verschließen sich die Wirbelkörper nicht im Mutterleib, weshalb das Rückenmark offen im Fruchtwasser liegt und nach der Geburt unter anderem motorische Störungen der Beine und eine Blasenentleerungsstörung auftreten. Oft tritt kombiniert auch Hydrocephalus auf, eine krankhafte Erweiterung der Räume im Gehirn, bei der das Hirnwasser nicht wie üblich über das Rückenmark abfließen kann und sich somit zunehmend im Kopf des heranwachsenden Kindes staut.
Die unmittelbar nach der Geburt notwendige Operation bei den Spina-Bifida-Kindern im Haydom Lutheran Hospital führte damals eine deutsche Neurochirurgin durch, die Harbauer in den verbliebenen zwei Monaten ihres dortigen Aufenthalts anlernte. „Das lernst du schon,“ meinte sie zur Nicht-Chirurgin Harbauer. Und tatsächlich schaffte es die Kinderärztin danach mit Unterstützung aus dem Krankenhaus und Erlaubnis der Behörden die lebensrettenden Operationen durchzuführen.
„Wir haben uns erstmal klinisch um die Kinder gekümmert - aber mir war und ist wichtig: Wenn man etwas anfängt, muss man es auch zu Ende führen. Man kann ja nicht nur das Kind operieren, sondern muss auch die Nachsorge organisieren. Dafür gab es einfach keine Infrastruktur, die mussten wir neu erfinden,” berichtet Harbauer von der Gründungsmotivation ihres Hilfsprojekts Haydom Friends, das auch von Wellspect unterstützt wird. Immer wieder reist Dr. Harbauer seither nach Tansania, nutzt Urlaube und Freizeit, um das Projekt voranzubringen. Mittlerweile ist sie zweimal pro Jahr vor Ort.
„Man kommt dort an und hat sofort die ganzen Kinder, die einen umringen, die Mzungu Mzungu rufen ("Europäer" in der Landessprache Suaheli). Mittlerweile ist es so, dass ich - würde ich mal behaupten - Teil der Dorfgemeinschaft bin. Zumindest werde ich auf dem Markt und im Dorf erkannt, das macht es schon bedeutend einfacher.” Zentrale Aufgabe ist es dort, die halbjährlich vom Projekt angebotenen Schulungswochen zu organisieren und durchzuführen. „Die Eltern und Kinder werden für eine Woche eingeladen und lernen etwas über die besonderen Umstände des Geburtsdefekts und erlernen das Kathetern, was ganz essenziell wichtig ist für ein Spina Bifida-Kind. Da deren Blase nicht richtig entleert werden kann, besteht die Gefahr eines Harnstaus, der die Nieren zerstören kann. Die Eltern und Kinder treffen sich untereinander und wir können ein Auge auf die Kinder haben."
Ebenso kann Harbauer Materialien aus Deutschland mitbringen, die in Tansania nicht erhältlich sind. Zwar versucht der Verein, so viel es geht auf lokale Lösungen zu setzen, manchmal kann aber auch nicht die größte Kreativität aus der Patsche helfen: "Das was mir bisher aber fehlte, war eine medikamentöse Therapie, um die Blasenkapazität der Kinder zu vergrößern. Das hierbei hilfreiche Medikament Oxybutynin kann man über den Katheter direkt in die Blase applizieren, aber um das zu tun braucht es ganz spezielle Adapter. Es war ein bisschen ernüchternd zu sehen, dass wir zwar das Medikament vor Ort hatten, aber keine Möglichkeit es anzuwenden.“ Sie und ihr Team hatten sogar gebastelt und irgendwelche Schläuche zerschnitten, um die vorhandenen Spritzen anwendbar zu machen, aber es war nicht zu schaffen. „Ich habe mich dann an Wellspect gewendet und gefragt, ob sie eine Lösung haben und uns helfen können. Wir sind dann von Wellspect versorgt worden, wofür ich echt sehr dankbar war.“ Darüber hinaus gab Wellspect Haydom Friends die Möglichkeit, auf einer Messe einen Stand aufzubauen und das Projekt vorzustellen. "Sie sind sehr interessiert als Hilfsmittel-Anbieter. Sie bieten genau das an, was die Familien bzw. die Kinder mit Spina Bifida eben brauchen“, berichtet die Kinderärztin
Die Motivation für ihr unermüdliches Engagement findet Theresa Harbauer insbesondere darin, vor Ort zu sein und in die Gesichter der mittlerweile so vielen involvierten Menschen in Haydom zu blicken. „Das, was mich eigentlich immer wieder antreibt ist die Dankbarkeit der Eltern und das Vertrauen, was sie einem schenken. Allein die Tatsache, dass sie wiederkommen und dass sie immer wieder Hilfe suchen und uns ihr Kind anvertrauen. Dass es dann 80 Kinder werden und damit natürlicherweise immer mehr Leute auf dem Weg auftauchen und sich daran beteiligen, das motiviert. Ich aus meiner Kraft alleine heraus würde das niemals so schaffen.“
Wichtig ist ihr dabei auch, „nicht vor den Karren gespannt zu werden, sondern dass die Leute Ownership übernehmen und ich eine Unterstützung bin, aber es primär ihre Verantwortung ist, dass es weiter funktioniert.“ Genau dieser Spirit ist der Antrieb hinter den weiteren Zielen der Haydom Friends, die mittlerweile weit über die ursprünglich nur klinische Behandlung von Spina Bifida gehen. „Man bewegt sich ein bisschen zentrifugal vom Zentrum der Klinik nach außen, trägt die Verantwortung und den Wirkungsradius auch in die Gemeinden. Wir müssen aufklären, wir müssen dafür sorgen, dass die Kinder in die Schulen kommen. Das sind die sozialen Aspekte, auch dass die Familien so aufgestellt sind, dass sie die Kinder zuhause versorgen können.”
Dabei helfen soll ein von Hilfsprojekt und Familien geplantes, modernes Reha-Zentrum in Laufdistanz zur Klinik. Der Bildungs- und Aufklärungsauftrag ist nicht mehr nur dort umsetzbar, daher die Idee für das House of Hope, so Harbauer. „Es soll ein Ort für Eltern werden, an dem sie auch ein bisschen losgelöst von dem Stigma "Ich habe ein Kind mit Behinderung" sein können.” Ein passendes Grundstück hat der Verein bereits gefunden, sobald alle Formalitäten geklärt sind, soll die Planung beginnen. Vorausgesetzt, die finanzielle Unterstützung des Vereins durch Sponsoren und Spender ist gegeben. „Es liegt nicht alles auf der hohen Kante, wir sind abhängig von weiteren Geldern und Hilfen.”
„Ich hoffe, dass, wenn ich das nächste Mal dort bin, man schon die Grundmauern gesetzt hat. Es ist eine tansanianische Art, dass man immer super optimistisch ist, beispielsweise gibt es kein "nein", auch kein "geht nicht", es wird immer alles bejaht, und dementsprechend prognostiziert "in zwei, drei Monaten steht das Haus". Aber man muss das immer unterstützen und darf in keinster Weise irgendwelche Zweifel hegen,” sagt Harbauer schmunzelnd und fügt an: „Ich würde mal realistisch sagen: bis zum Ende des Jahres haben wir da auf jeden Fall was stehen, mit dem man arbeiten kann. Und natürlich besteht immer das Ziel, die Arbeit in der Klinik fortzusetzen. Trotz all der Vorarbeit, die man leistet, hat man nie die Garantie - ich freue mich über jedes Jahr, in dem das Projekt weiter besteht.”
Wer mehr über das Projekt erfahren möchte oder dieses finanziell unterstützen möchte, findet weitere Informationen unter www.haydom-friends.org.